Hilfsantrag – Hilfsaufrechnung – Hilfswiderklage Gebühren? (AGS 2008, 317)

1. Das Problem

Von großer Bedeutung und oft gebührenmäßig unterschätzt (also regelmäßig zu gering abgerechnet) sind die Fallgestaltungen der Hilfsaufrechnung, des Hilfsantrages sowie der Hilfswiderklage.

Jeder Anwalt und Richter kennt den früheren § 19 GKG, unverändert übernommen in den neuen § 45 GKG, wonach die vorgenannten 3 Institute den Streitwert nur erhöhen, wenn darüber rechtskraftfähig entschieden wird (§ 45 Abs. 1 S. 2: „Ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch wird mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung über ihn ergeht.“

Die Frage, ob  (bei einer Erledigung des Rechtsstreits durch Entscheidung) die Gerichtsgebühren nur erhöht werden bei Entscheidung auch über den Hilfsanspruch, dagegen die Anwaltsgebühren auch ohne diese Entscheidung zu erhöhen sind, soll unter Ziffer 4. behandelt werden.

2. Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich

In den Mittelpunkt dieser Untersuchung soll zunächst die Gebührenbehandlung bei Erledigung des Rechtsstreits durch einen Vergleich gestellt werden, weil dabei regelmäßig viel Geld verschenkt wird.

Jeder (Anwalt und Richter) sieht sich schon als besonders klug an, wenn er weiß, dass bei einem Totalvergleich, der die z.B. zur Hilfsaufrechnung gestellte (n) Forderung(en) materiell mitvergleicht, deren Werte den Vergleichswert erhöht.

Das folgt nicht  aus § 45 Abs. 4 GKG: „Bei einer Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich sind die Absätze 1 bis 3 entsprechend anzuwenden.“

Vielmehr bestimmen dies bereits die §§ 5 Satz 1 ZPO,  36 GKG,   22 Abs. 1 RVG:

Denn beim Vergleich sind alle Werte zusammenzurechnen, die vom Vergleich ergriffen sind.

Die Sonderregelung des vorgenannten § 45 Abs. 4 GKG wäre somit überflüssig. Sie hat auch einen anderen Sinn. Werden die hilfsweise eingebrachten Forderungen verglichen, so hat das zur Folge, dass sie so zu behandeln sind, als wäre über sie durch Gerichtsentscheidung materiell rechtskraftfähig entschieden (Schneider/Herget Streitwertkommentar 12. Aufl. Rn. 2853 und 2881):

„Vielmehr wird mit der gesetzgeberischen Vorgabe, die § 45 Abs. 1 bis 3 GKG (§ 19 Abs. 1 bis 3 GKG a.F.) „entsprechend” anzuwenden, die vergleichsweise Regelung dem Be­dingungseintritt gleichgestellt.“

 

Erledigen sich Klage und Hilfswiderklage dadurch, dass die Parteien einen um­fassenden Prozessvergleich darüber abschließen, dann steht das einer gerichtli­chen Entscheidung gleich (OLG Braunschweig JurBüro 1990, 912; OLG Düsseldorf OLGR 2005, 586 = AGS 2006, 188; OLG Köln, Beschl. v. 10. 9. 1990 – 17 U 31/89, KostRsp. GKG § 19 Nr. 163; OLG Köln MDR 1979, 412; OLG München MDR 1998, 681; OLG Düsseldorf JurBüro 1987, 1383; OLG München JurBüro 1978,1226; Mayer/Kroiß RVG 2. Aufl. Anhang II Rn. 25; Anders/Gehle/Kunze Streitwert 4. Aufl. 2002 Stichwort „Vergleich” Rn. 18; Frank, Anspruchsmehr­heiten im Streitwertrecht, 1986, S. 321;

a.A. OLG Bamberg JurBüro 1994, 112; OLG Koblenz MDR 1997, 404; OLG Köln JurBüro 1996, 476).

Folgt man der weit überwiegenden Meinung, so hat das im Falle des Vergleichs Bedeutung für alle Gebühren, also auch die Verfahrens- und die Terminsgebühr. Der Streitwert erhöht sich konstitutiv sowohl für das Gericht wie auch die Anwälte (Mayer/Kroiß RVG 2.Aufl. Anhang II Rn. 26). Für den Anwalt erfällt ohnehin die Verfahrensgebühr (Nr. 3100) mit dem Prozessauftrag und die Terminsgebühr analog Nr. 3104 Anmerkung Abs. 2.

Streitig ist unter diesen Gerichten, ob für die Gebühren (außer der alles umfassenden Vergleichsgebühr) die Kappung auf die doppelte Summe gilt (für Kappung: OLG München MDR 1998, 681; OLG Düsseldorf JurBüro 1987, 1383; keine Kappung: OLG München JurBüro 1978,1226; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1279; Mayer/Kroiß RVG 2. Aufl. Anhang II Rn. 26).

3. Kostenerstattung

Da der Vergleich eine eigene „Kostengrundentscheidung“ (Vereinbarung) enthält oder enthalten sollte (ansonsten gilt § 98 ZPO), sind die Anwaltskosten kraft Vertrages (Vergleich) aus dem höheren Streitwert  auch erstattungsfähig, sofern gequotelt oder ganz überbürdet wird.

4. Streitwert  im Verhältnis zum Auftraggeber ohne Entscheidung oder Vergleich

Die Verfahrensgebühr (Nr. 3100) für den hilfsweise eingebrachten Streitwert erfällt im Verhältnis zum Auftraggeber mit dem Prozessauftrag. Der Anwalt muß sich auftragsgemäß mit dem Hilfsanspruch beschäftigen und klagemäßig aufbereiten (E.Schneider AGS 2004, 274), und zwar völlig unabhängig, ob der das Hilfsbegehren selbst einbringt oder diesem auf der Gegenseite vorsorglich entgegentritt. Das folgt aus den Konzentrationsmaximen und den Präklusionsvorschriften. Der Anwalt kann sich nicht zurücklehnen und sagen, lass das Gericht doch erst einmal seine innerprozessuale Bedingung setzen, ehe ich anfange, mich mit dem Hilfsbegehren zu beschäftigen. Und auch die Richter, die schlankweg über die anwaltlichen Gebühren befinden, indem sie sagen, die §§ 45 GKG und 32 RVG sind doch klar, da gibt’s hat keine Gebühren ohne Bedingungseintritt, sollten sich einmal, wenn sie noch in Sachen Relationstechnik das juristische Handwerk gelernt haben, erinnern, dass man bei der Relation  sich vorsorglich (als gedachter zukünftiger Richter)  auch eingehend mit den vorgenannten, von einer Bedingung abhängigen, Hilfsbegehren auseinandersetzen muß.

Wird der Anwalt auftragsgemäß für einen wertmäßig eigenen Hilfsanspruch, eine Hilfsaufrechnung oder eine Hilfswiderklage tätig, so erfällt dadurch die Verfahrensgebühr (Nr. 3100), auch wenn noch keine gerichtliche Entscheidung (§ 45 Abs. 1 S.2 GKG) ergangen oder ein Vergleich (§ 45 Abs. 4 GKG) abgeschlossen ist ( Mayer/Kroiß RVG 2. Aufl. Anhang II Rn.24; § 33 Rn. 6; OLG Hamburg MDR 1966, 853; E.Schneider AGS 2004, 274; AGS 2007, 255; Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe RVG 17.Aufl. Nr. 3100 VV Rn. 129). Gerichtlicher und anwaltlicher Streitwert weichen dann voneinander ab, sodass der Anwalt insoweit aus eigenem Recht eine isolierte Streitwertfestsetzung nach § 33 RVG begehren kann (Mayer/Kroiß RVG 2. Aufl. § 33 Rn. 6; LAG Köln AnwBl.2002, 185; LAG Hamm MDR 1989, 852; Schneider/Wolf RVG 3. Aufl. § 33 Rn. 8 ff).

Die Gegenmeinung wird ohne eigene Begründung – die Gründe sind wörtlich aus Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke RVG 2. Aufl. Aufrechnung 1.2.1 übernommen-  mit nichttragenden Gedanken vom 19. Senat des OLG Hamm, dem Einzelrichter

vertreten. Das Argument, das System der Mischkalkualtion fordere, dass der Anwalt auch bei niedrigen Streitwerten gelegentlich schwierige Fragen zu klären habe, könnte man einem Gericht vielleicht als oberflächliche Begründung (als Neidargument) noch einmal durchgehen lassen, obwohl es fehl am Platze ist, weil es hier nicht um (relativ) niedrige Gebühren bei niedrigen Streitwerten geht. Wenn aber Anwälte in einem Kommentar wörtlich so argumentieren, so zeigt es doch, dass sie mit dem von der h.M. zu Recht ins Feld geführten Abhängigkeit der Anwaltsgebühren vom Auftrag offenbar nichts anfangen können. Das aber sollte eines der ersten Elemente sein, das ein Anwalt, der sich mit seinem Beruf und den Gebühren befasst, beherzigen sollte.

Der Prozessauftrag der eigenen Partei erstreckt sich eben auch auf das Hilfsbegehren, das muß die eigene Partei dann auch vergüten.

Allerdings, die Erstattungsfrage hängt davon ab, ob es einen Kostentitel gibt und ferner, ob das Gericht darüber entscheidet oder durch einen nach § 45 Absatz 4 GKG gleichgestellten Vergleich der Anspruch zwischen den Parteien erledigt wird.

Übrigens: Da die Hilfsaufrechnung vor der Entscheidung nicht rechtshängig wird (BGH MDR 1995,349), erfällt aus dem Mehrstreitwert nach Nr. 1000 VV eine 1,5 Einigungsgebühr.

Anders liegen die Dinge nach der  Rechtsprechung bei der Hilfswiderklage.

Auch die Hilfswiderklage wird zulässigerweise von einer innerprozessualen Bedingung abhängig gemacht (BGH NJW 1996, 2165 und 2306, 2307). Im Gegensatz zur Hilfsaufrechnung wird die Hilfswiderklage aber auflösend bedingt sofort rechtshängig. Die Rechtshängigkeit erlischt rückwirkend, wenn die Bedingung ausfällt, weil das Gericht dem Hauptbegehren des Beklagten auf Klageabweisung stattgibt (BGHZ 21, 13, 16 = NJW 1956, 1478; BGHZ 106, 219 = NJW 1989, 1487; Schneider/Wolf RVG 3. Aufl. VV 1000 Rn. 160; unrichtig Onderka in Schneider/Wolf RVG 3. Aufl. Nr. 3101 Rn.34, die meint., die bedingte Widerklage werde erst mit dem Eintritt der Bedingung rechtshängig, sodass sie folgerichtig (irrig) nur eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 zugestehen will). Daraus folgt: Ein Einigung über den Gegenstand der Hilfswiderklage löst  nur die 1,0 Einigungsgebühr der Nr. 1003 aus.

In der Literatur (Schneider/Wolf RVG 3. Aufl. VV 1000 Rn. 158; Zöller ZPO 23. Aufl. § 33 Rn. 26; 260 Rn. 4; Thomas/Putzo ZPO 23. Aufl. § 260 Rn. 17) wird die Ansicht vertreten, auch der Hilfsantrag werde sofort rechtshängig und stehe unter der auflösenden Bedingung der in der Regel Abweisung des Hauptantrages. Allerdings lässt der BGH auch den Erfolg des Hauptantrages als Bedingung zu (BGH NJW 1961, 1862; NJW 1996, 2306;  BAG NJW 1965, 1042; RGZ  144, 73).

Das bedeutet, wird  ein Vergleich unter Einschluss des Hilfsantrages geschlossen, so erfällt für den Mehrwert auch nur eine 1,0Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV.